Hirtenbrief für Karfreitag und Ostern von Gerold Lehner (Superintendent)


Liebe Schwestern und Brüder!
Ich schreibe diesen Brief in der Woche vor Palmsonntag,
so dass er Euch in der Karwoche erreicht. In diesen
Tagen einen Brief zu schreiben, den die Empfänger erst
sehr viel später in Händen haben werden, ist riskant. Ich
weiß nicht, was in einer Woche sein wird. Werden wir
erleichtert seufzen, weil der Gipfel der Krise überschritten
ist? Oder werden wir stöhnen, weil sich der Wendepunkt
wieder weiter nach hinten verschoben hat und
neue, restriktivere Maßnahmen gesetzt wurden?
Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass wir Karfreitag
und Ostern feiern werden. Das wird uns gut tun. Wir
werden dorthin schauen, wo Ho nung aus der Ho -
nungslosigkeit erwächst und Gottes Tat den Tod überwindet.
Wir selbst werden mit hineingenommen in diese
Bewegung: aus der Finsternis zum Licht, aus dem Tod
in das neue Leben.
Ich möchte in diesem Brief ein Bild mit Euch teilen, und
die Gedanken, die es bei mir ausgelöst hat. Ich bin ein
Liebhaber von Holz. Ich liebe die Bäume in unserem
Garten und ich liebe unseren Tisch, der aus schönem
Apfelholz gefertigt ist. Und ich liebe die geschnittenen
Holzscheiben, welche die Jahresringe der Bäume zeigen.
Ich kann an keinem Stand vorbeigehen, der schöne Dinge
aus Holz anbietet.
Vor zwei Jahren bin ich wieder bei einem solchen Stand
gelandet. Einem der Olivenholz anbot in verschiedenen
Verarbeitungen. Und bei einem Stück habe ich meinen
Augen nicht getraut: Mitten im Kern des Stammes
taucht da, klein, aber klar und deutlich wahrnehmbar,
das Bild des Gekreuzigten auf. Seitdem begleitet mich
dieses Stück Olivenholz. Heute ist die Zeit gekommen,
in der ich mit Euch teilen möchte, was es für mich bildhaft
verkörpert.

Das Kreuz ist die Mitte

Zunächst ist das ganz einfach die Tatsache, dass dieses
Bild des Gekreuzigten sich in der Mitte des Stammes be-
ndet, in seiner Kernzone, aus der heraus er wächst. Der
Gekreuzigte verbürgt die Echtheit des Lebens und der
Botscha des Jesus von Nazareth. „Der Menschensohn
ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern
dass er diene und gebe sein Leben als ein Lösegeld für
viele.“ Dieser Weg wurde durchgehalten bis ans Ende.
Und er wurde durchgehalten in Liebe. Mit diesem Ende
wird nicht Hass gesät, sondern Liebe. „Vater vergib
ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Der Gekreuzigte
ist die Manifestation der bedingungslosen und
unbedingten Liebe. Diese Liebe überwindet die Zurückweisung,
überwindet den Hass. Deshalb steht das
Kreuz als Symbol dieser Gottesliebe unabänderlich in
der Mitte des christlichen Glaubens. Deshalb ist uns der
Karfreitag unverrückbar höchster Feiertag.

Aus dem Kreuz wächst das Leben

Mein Stück Olivenholz scheint diese zentrale Bedeutung
des Todes Jesu zu betonen. Und zugleich ist diese Mitte
kein Ende, sondern, sozusagen, der Anfang von Allem.
Denn aus dieser Mitte heraus wächst der Baum. Das
Kreuz ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Durch
Gottes wunderbare Tat erwächst aus diesem Tod das Leben.
Mit der Auferweckung des Gekreuzigten keimt die
Saat und bringt Frucht. „Wenn das Weizenkorn nicht in
die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber
erstirbt, bringt es viel Frucht.“
Mit der Auferweckung Jesu sagt Gott Ja zu diesem Leben.
Der, den die Menschen abgelehnt haben, den sie
nicht auszuhalten vermochten, der hat ein Leben gebracht,
das nicht mehr sterben wird in Ewigkeit, und das
Frucht bringt, die nicht mehr vergeht. In Menschenherzen
hat diese Liebe Wurzeln geschlagen, sie zum Blühen
gebracht, und dazu, in der Erde wurzelnd und dem
Himmel sich entgegenstreckend, Frucht zu bringen und
neues Leben auszusäen.

…aus diesem Holze geschnitzt

Und schließlich sagt mir mein Stück Holz: Wir selbst,
wir Christenmenschen, Frauen und Männer, Kinder
und Greise, Gesunde und Kranke sind „aus jenem
Holze geschnitzt“, das den Gekreuzigten in sich trägt
und schon die Ho nung und den Mut der Auferstehung
in sich birgt. Unverlierbar tragen wir ihn in uns. 
Hineingenommen sind wir in seine Berufung, jene Liebe zu
leben, die vergibt und versöhnt, die hil und handelt,
die Wahrheit spricht und nach der Gerechtigkeit strebt.
Jene Liebe, die fähig ist, in der Angst standzuhalten und
alle Freude zu teilen.
Was auch immer kommen mag, und wohin unsere
Wege uns auch führen mögen,- er, der die Liebe in uns
begonnen hat, er bleibt uns Grund und Mitte und Ziel
der unsterblichen Ho nung, und des österlichen Jubels:
Christ ist erstanden!
Er ist wahrha ig auferstanden!
Halleluja!
Mit diesem Ruf grüße ich Euch
in herzlicher Verbundenheit
Euer
Gerold Lehner

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